#06
Valloton fragt Valloton - Über die gepflegte schriftliche Korrespondenz

Lorenz O. Valloton
Ich möchte heute über ein sehr wichtiges, zusehends in Vergessenheit geratendes Thema mit Ihnen sprechen, mein lieber Freund: über die schriftliche Korrespondenz und deren Notwendigkeit für ein gedeihliches Miteinander auf einem wenigstens akzeptablen Niveau.

Friedrich G. Valloton
Dem ist wenig hinzuzufügen. Sie haben schon viel gesagt, aber wir wollen noch mehr sagen.

Lorenz O. Valloton
Bitte tun Sie das. Ich weiß, Sie können Wesentliches dazu beitragen.

Friedrich G. Valloton
Sie beziehen sich auf unsere eigene Korrespondenz. Wir versuchen es. Ich betrachte es tatsächlich als Versuch, jedenfalls meinen Beitrag dazu. Alles andere wäre vermessen. Und ich meine es ernst. Ich weiß sehr wohl, dass ich viel Unsinn schreibe, eitel manchmal, überzogen auch. Aber ich muss meine Unzulänglichkeiten und Torheiten in Kauf nehmen, weil ich es jedenfalls erbaulicher finde als die Abkürzungen unserer Zeit zu nehmen und unzulässige Verknappungen und Ungenauigkeiten in Form von Emojis zu verwenden. Das wäre wirklich inakzeptabel.

Lorenz O. Valloton
Sie wissen gar nicht, wie sehr ich das schätze, diese völlige Abwesenheit von Lachgesichtern und Anwesenheit von korrekt gesetzten Satzzeichen.

Friedrich G. Valloton
Wissen Sie, mein Lieber, es gibt Menschen, die nehmen es besonders ernst mit der Orthografie, der Grammatik und mehr noch mit dem Ausdruck. Wenn jemand sich aufschwingt zu einer Art Sprachpolizei, die über Form und Inhalt des Geschriebenen gnadenlos urteilt, dann wird es ungemütlich. Ich finde, man soll den Schreibenden und Sprechenden ein wenig Kredit einräumen, für Fehler, Dummheiten und meinetwegen auch Deplaciertheiten aller Art.

Lorenz O. Valloton
Sie plädieren für Großzügigkeit im Umgang mit unserer schönen Sprache?

Friedrich G. Valloton
Ich plädiere für das Vergeben von Fehlern. Wir neigen heute allzu sehr dazu, jeden und jede sofort ans Kreuz zu nageln im Sinne unserer jeweiligen Religiosität. Da war man früher ein wenig großzügiger, jedenfalls ist das meine Erinnerung.

Lorenz O. Valloton
Aber Sie selbst legen großen Wert auf einen gepflegten Sprachgebrauch, im geschriebenen wie auch im gesprochenen Wort.

Friedrich G. Valloton
Ja, das tue ich. Aber ich mache Fehler, laufend. Retrospektiv oft ganz fürchterliche Fehler, deren ich mich wirklich schäme.

Lorenz O. Valloton
Irgendwo kommt immer ein Besserwisser um die Ecke und hat große Lust, den Sprachdelinquenten zu demütigen.

Friedrich G. Valloton
Natürlich. Aber irgendwann muss man darauf eben pfeifen und sein Bestes tun. Mehr als mein Bestes kann ich nun einmal nicht tun.

Lorenz O. Valloton
Sprechen wir noch über die Form. Sie schreiben gerne auf Papier, nicht handschriftlich sondern am Computer, drucken das Geschriebene dann auf Papier aus, unterschreiben mit der Hand, stecken es in ein Kuvert von Gmund und versenden es per Post.

Friedrich G. Valloton
Ja. So ist es mir am liebsten. Da es gedruckt ist, ist es gut zu lesen, die Unterschrift macht es persönlich, das per Post versendete Medium, Papier also, bedeutungsvoll. Unbedeutendes schreibe ich per email, Bedeutungsvolles kommt per Post.

Lorenz O. Valloton
Das finde ich überaus interessant. Ich habe das übrigens schamlos übernommen.

Friedrich G. Valloton
Nur zu. Das habe ich auch getan. Ich habe diese Praxis einst bei einem ehemaligen, durchaus bedeutenden Direktor eines großen Museums, mit dem ich im Zuge der Umsetzung einer Ausstellung zusammenarbeiten durfte, kennengelernt. Wir kommunizierten persönlich, telefonisch und per email. Aber wenn es wichtig war, wenn es um alles ging, dann kam ein Brief.

Lorenz O. Valloton
Hat es gewirkt?

Friedrich G. Valloton
Selbstverständlich. Klar war: jetzt muss man reagieren. Ablehnend, zustimmend, einlenkend, drohend, wie auch immer. Aber man musste reagieren.

Lorenz O. Valloton
Heute kommt allenfalls Post vom Anwalt.

Friedrich G. Valloton
Ja, da stimmt. Dann ist natürlich schon viel Erde verbrannt in den meisten Fällen. Das hat sich zweifellos geändert. Die gepflegte verbale Konfrontation, schriftlich wie auch persönlich, inklusive Schreiduellen und nachfolgender fröhlicher Versöhnung bei einem Glas - das scheint es so nicht mehr zu geben.

Lorenz O. Valloton
Haben Sie das erlebt?

Friedrich G. Valloton
Oh ja, und wie! Heftige Auseinandersetzungen, Gebrüll, Androhung von sofortigem Abbruch der Zusammenarbeit bis hin zur Ankündigung von körperlicher Gewalt. Alles! Aber auch alles nicht ganz so ernst gemeint, wie es in der Erregung geäußert wurde. Denn am Ende hat man sich doch in aller Regel gefunden und dem Trennenden das Gemeinsame voran gestellt. Heute verlaufen die Auseinandersetzungen erbitterter und zerstörerischer. Das klingt traurig, aber ich fürchte, es ist wahr.

Lorenz O. Valloton
Die Art zu kommunizieren hat sich jedenfalls fundamental verändert.

Friedrich G. Valloton
Ja, gewiss. Sie ist aber auch bedeutungsloser geworden. Das Wesentliche, das Fundamentale passiert doch nach wie vor im persönlichen Aufeinandertreffen. Ich sehe nicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändert. Und ich hoffe es auch nicht. Dem Persönlichen ist das Versöhnliche, das friedliche Zusammenfinden immanent, im Virtuellen wohnt allzu oft die Niedertracht und die Lust auf Zerstörung. Und wir brauchen Ersteres, mit größter Dringlichkeit.

Lorenz O. Valloton
Auf viele weitere friedliche und erbauliche Gespräche!

Friedrich G. Valloton
À votre santé, mon ami!